
Umarmt und gegängelt - der "German Mittelstand"
Eine systemanalytische Betrachtung
KMU, kleine und mittelgroße Unternehmen, und ich möchte Familienunternehmen, Mittelstand und Startups hinzuzählen – diese Themen beschäftigen mich seit mehr als 40 Jahren. Damals gehörte ich zum Management, das unter anderem die deutsche Tochtergesellschaft des finnischen Weltkonzerns Nokia aufbaute. Wir waren ein echtes Startup, haben richtig klein angefangen und uns im ersten Jahr in der deutschen Regulatorik derart verheddert, dass wir fast nach einem Jahr wieder hätten aufgeben müssen. Nur durch eine kräftige Finanzspritze der Konzernmutter konnte das durchgestanden werden. Aber welches Startup, welches kleine Unternehmen hat die Möglichkeit, eine Finanzspritze zu bekommen, wenn regulatorische Belange die Liquidität auf null fahren? Seit damals lässt mich der Themenkomplex KMU/ Familienunternehmen/Mittelstand/Startups nicht mehr los. Erst recht nicht, seit ich als Unternehmensinhaber selbst verantwortlich für meine Unternehmensgruppe wurde.
Handwerk und Fertigung, Handel, Dienstleistungen, Geldwechseln, Wirtschaften begleiten unsere Gesellschaft seit Jahrtausenden und unterliegen einem stetigem Wandel. Familienunternehmen, Mittelstand und KMU sind Teil davon. Aus dem Drang der Menschen, etwas zu unternehmen, um leben zu können, wurde der Begriff „Unternehmen“ einer Normierung unterworfen. Unternehmen müssen Gewinne erzielen. Sie sind es, die die Wertschöpfung in diesem Land erwirtschaften. Ohne Unternehmen gäbe es keine Produkte und Dienstleistungen, keine Arbeitsplätze, keine Finanzierung öffentlicher Institutionen und keine Daseinsfürsorge. Innovation und Prosperität sind nur möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen – die wirtschaftlichen, die rechtlichen und die politischen. Und vor allem, wenn dieselben Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer gelten.
Heute ist deutlicher denn je, dass wohlklingenden Sätzen wie: „Der innovative Mittelstand wird auch weiterhin als Erfolgsmodell ‚Made in Germany‘ gelten“, von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier die nackte politische Realität gegenübersteht: auf der einen Seite Altmaiers Phantasien in Richtung Staatskonzerne, wie wir sie aus Frankreich kennen, auf der anderen Seite Medien, die nicht müde werden, ein irrationales Bild vom „Unternehmer“ zu zeichnen. Da wird man nicht selten an die dunkelsten Zeiten der Diffamierung in Deutschland erinnert. Mit Kenntnis über diejenigen, auf denen der Wohlstand in unserem Land aufbaut – und ich meine hier nicht den persönlichen Wohlstand der Firmeninhaber, sondern den der in diesen Unternehmen arbeitenden Menschen und deren Familien – hat das nichts zu tun.
Innovation und Prosperität sind nur möglich, wenn die Rahmenbedingungen stimmen – die wirtschaftlichen, die rechtlichen, die politischen. Und vor allem, wenn dieselben Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer gelten.
Die Bankenkrise und die aktuelle Krise der Automobilindustrie, die die Zeichen der Zeit zwar gesehen hat, aber durch Betrug versucht hat, die alten Geschäftsmodelle weiterzuverfolgen, statt sich der Realität zu stellen, zeigen mehr als deutlich, wie wichtig eine Wirtschaft ist, die auf vielen Schultern und vielen Geschäftsmodellen ruht. Fast die Hälfte aller Weltmarktführer in ihrem Segment kommt aus Deutschland. Die meisten davon (70 Prozent) sind Mittelständler oder Familienunternehmen, Unternehmen, die Zeit hatten, sich zu entwickeln, teils seit der Industrialisierung, teils seit dem wirtschaftlichen Neuanfang nach dem 2. Weltkrieg. Es ist aber zu befürchten, dass die Zahl relativ abnehmen wird. Denn die Rahmenbedingungen lassen trotz aller Sonntagsreden solche Entwicklungen kaum noch zu.
Gelebtes
Desinteresse, Ignoranz, Ausgrenzung
Wie Veränderungen für KMU aussehen können, darüber wird derzeit in unserer Gesellschaft zunehmend diskutiert, vor allen Dingen aber wird es gelebt – und zwar nicht zum Wohl der Unternehmen, der Inhaber und deren Beschäftigten und deren Familien. Der Bogen im Umgang mit inhabergeführten Unternehmen reicht von offen demonstriertem Desinteresse, über Ignoranz, Ausgrenzung und Gängelungsversuchen bis zu Ab- und Ausgrenzung.
Für (fragwürdige) medienwirksame Auftritte mit Unternehmensgrößen sind Politiker gerne zu haben. Wobei meistens das Management von Konzernen die Auserwählten sind und nicht in Eigenverantwortung handelnde mittelständische Unternehmerinnen und Unternehmer. Die jedenfalls erfahren eines so gut wie nie: eine echte Wertschätzung. Stattdessen werden sie zwischen verschiedenen Institutionen und deren nicht aufeinander abgestimmten Spielregeln zerrieben. Auf die finanziellen Risiken, die Unternehmer eingehen (müssen), wird keine Rücksicht genommen. Im Gegenteil: ein vollkommen verzerrtes Unternehmerbild bestimmt in weiten Teilen die öffentliche Diskussion. Dabei geht die Dramatik, in der Inhaber sind, unter: Wenn ein Unternehmen nicht erfolgreich ist, stehen sie mit allem, was ihnen gehört, vor dem Aus. Selber schuld? So zu denken, ist zynisch und wird der Realität nicht gerecht. Inhaber können keine D&O-Versicherung abschließen wie ein angestellter Manager, sich bei Misserfolg schadlos halten und aus dem Staub machen, nett garniert mit hochdotierten Beraterverträgen, wie sie gerade bei der DB Deutsche Bahn bekannt wurden.